Die Welt ist voller schlechte Übersetzungsagenturen; wir kennen alle einige. Aber es gibt auch gute! Ich bin 2012 von einer entdeckt worden und möchte sie nicht mehr missen.
Aber was macht diese Agentur nun zur perfekten Agentur?
- Gefunden wurde ich über die Datenbank der ATA anhand meines Fachgebiets Medizin. Die allererste Mail habe ich leider nicht mehr, aber ich weiß noch, dass keine Probeübersetzung verlangt wurde. Vermutlich habe ich mein CV eingeschickt und meinem Wortpreis genannt, weil nach beidem in den Mails, die ich noch habe, nicht gefragt wurde. Auf jeden Fall wurde mein Wortpreis sofort akzeptiert – ein Wortpreis, den ich bis heute bei keiner anderen Agentur durchsetzen konnte.
- In der zweiten Mail bekam ich ein „Freelance Translator Form“ zum Ausfüllen, eine NDA zur Unterschrift – und einen „Contractor Resource Guide“, in dem auf 11 Seiten erklärt wird, was vom Übersetzer erwartet wird und was er im Gegenzug von der Agentur erwarten kann. Ein ausgesprochen hilfreiches Dokument! Darüber hinaus wurde um die Angabe von Referenzen mit Namen und Telefonnummer gebeten. Die geben sich also wirklich Mühe, herauszufinden, ob der Übersetzer unbedingt in die eigene Kartei gehört oder nicht – und treffen ihre Entscheidung nicht nur anhand des Wortpreises.
- Wieder sind meine Mails leider nicht vollständig, aber da ich 14 Tage später die erste Rechnung eingereicht habe, habe ich offensichtlich sehr schnell den ersten Auftrag erhalten und dümpelte nicht nur als eine von vielen in der Kartei herum.
- Diese Agentur versorgt mich nun seit fast fünf Jahren regelmäßig mit Aufträgen, die gut und gerne die Hälfte meines Jahresumsatzes ausmachen. Und zwar nicht mit irgendwelchen Texten, die irgendetwas mit Medizin zu tun haben, nein, ich bekomme ausschließlich Material im Zusammenhang mit klinischen Prüfungen. Dadurch hat sich diese Agentur einen echten Profi auf diesem Gebiet herangezüchtet, denn:
- Alle Übersetzungen gehen nicht nur durch ein Korrektorat – ich bekomme den korrigierten Text auch anschließend zur Abnahme zurück. So kann ich mein TM aktualisieren, aus meinen Fehlern lernen und natürlich auch Korrekturen ablehnen, die schlicht falsch sind. Die allermeisten Korrekturleser dieser Agentur sind auch richtig klasse. Nur ein einziges Mal ist es mir passiert, dass eine offensichtlich neue Korrekturleserin meinen Text nicht nur nach Gutdünken, sondern vor allem auch entgegen aller Vorgaben „korrigiert“ hat. Das habe ich der Agentur gesagt und wurde nie wieder von dieser Person geärgert. Mit allen anderen Korrekturlesern bisher war ich hochzufrieden und habe viel gelernt.
- Manchmal nimmt der Kunde anschließend noch Änderungen an der Übersetzung vor – auch diese bekomme ich zur Abnahme und kann mein TM aktualisieren, damit ich mich in Zukunft an diese Präferenzen halten kann.
- Nach der Erstellung der druckfertigen PDF erhalte ich den Text erneut zur Überprüfung – dieser Durchgang wird mit dem halben Wortpreis vergütet. Auch das erlebt man selten!
- Die zu übersetzenden Texte erhalte ich sowohl als PDF, damit ich sehen kann, wo was hingehört, als auch als Worddatei in Tabellenform, die ich problemlos mit Trados öffnen kann. Und genau so muss das: Diese Vorarbeit ist Agentursache. Leider wälzen allzu viele sie auf die Übersetzer ab.
- Wiederholungen innerhalb eines Auftrags werden zu 30 % bezahlt – alles unter 100 % Match zu 100 %. Da ich immer wieder dieselbe Textsorte übersetze und sich manchmal nur die Krankheit ändert, habe ich mittlerweile nicht selten weit über 50 % der Texte bereits im TM. Und diese Matches werden voll bezahlt!
- Meine Monatsrechnungen werden pünktlich beglichen – nach 30 Tagen. Ein Zeitfenster, das für mich völlig in Ordnung ist.
- Die PMs haben immer ein offenes Ohr. Ein paar Mal gab es in letzter Zeit Probleme mit der Begleichung meiner Rechnung; da war wohl ein Neuzugang in der Buchhaltung, der meine PayPal-E-Mail-Adresse nicht von meiner Kontakt-E-Mail-Adresse unterscheiden konnte. Jedes Mal hat sich die PM sehr freundlich und schnell um die Behebung des Problems gekümmert.
- Selbst wenn klitzekleine Kleinigkeiten im Text geändert werden, werde ich vorsichtshalber gefragt, ob das so richtig ist: ob der Plural von 6 Sachen z. B. derselbe ist wie von 8 Sachen 🙂 Tatsächlich schon dagewesen! Manchmal braucht ein PM auch nur einen kurzen Satz – z. B. für die Firmenweihnachtskarte. Solche Kleinigkeiten mache ich schnell für lau; im Gegenzug bekomme ich oftmals Miniaufträge, für die mein Mindestauftragswert bezahlt wird. Ohne zu murren!
- Einmal im Jahr bekomme ich eine „Vendor Performance“, in der aufgelistet wird, wie viele Aufträge ich in dem Jahr hatte, ob und wie viele ich zu spät abgegeben habe und ob wie oft es „quality issues“ gab. Im Abschluss wird erklärt, dass man weiter mit mir zusammenarbeiten möchte. Freut mich jedes Mal.
- Die PMs sind supernett. Alle. Übersetzer werden mit Respekt behandelt und nicht wie austauschbare Zulieferer. Es ist eine wahre Freude.
- Selbstredend erhält man zu jedem Auftrag eine PO; alle noch nicht in Rechnung gestellten POs werden auch im Vendor Portal aufgelistet, sodass man keine vergessen kann. Was mir tatsächlich mal passiert ist.
So, liebe 0815-Agenturen, sieht die perfekte Agentur aus. Nehmt euch daran ein Beispiel! Durch diese respektvolle, professionelle und faire Zusammenarbeit können nur gute Texte entstehen – was letztendlich dem Endkunden zugutekommt.
Denis meint
Hallo Miriam, hört sich sehr gut an. Was ist es denn für eine Agentur? Würde mich gern auch dort bewerben :).
Die Vorgehensweise ist sehr interessant und systematisch. Es würde mich interessieren, wie die Agentur Ihre Leistung dem Kunden verkauft. Ich kenne es zwar nur aus der technischen Branche: Hier wird ständig nach günstigeren Angeboten gesucht und wenn der Kunde sich für „fortschrittlich“ hält, möchte er am liebsten alles mit maschinellen Übersetzungssystemen übersetzen lassen.
Vielleicht ist es tatsächlich Branchen abhängig? Pharma und Medizin haben evtl. mehr Mittel und erkennen eher den Wert von Übersetzung an?