Das Übersetzen von Literatur ist eine Kunst und ein vollkommen anderes Kaliber als eine Fachübersetzung. Bei einer Fachübersetzung geht es primär darum, Informationen in die andere Sprache zu übertragen, während bei einer Literaturübersetzung vor allem das Gefühl weitergegeben soll, das der Leser beim Lesen des Romans hat. Beim Lesen eines Liebesromans muss der Leser selbst Schmetterlinge im Bauch verspüren, bei einem Thriller muss sein Puls vor Spannung steigen und bei einem traurigen Buch müssen ihm die Tränen kommen. Erst dann ist ein Buch ein gutes Buch, sowohl im Original als auch in der Übersetzung.
Damit dieses Gefühl entsteht, muss sich der Roman flüssig lesen lassen. Jede holprige Formulierung führt zu einem Innehalten beim Lesen, und passiert das zu oft, geht das Gefühl flöten. Nun gibt es keine allgemein gültigen Regeln, wie bestimmte Sätze aus dem Englischen ins Deutsche übertragen werden müssen, es gibt aber ein paar Eigenheiten im Englischen, die zu oft in der deutschen Übersetzung übernommen werden, was zu einem holprigen Deutsch führt. Ein paar Beispiele seien hier genannt. Die tatsächlich passende Übersetzung hängt jedoch immer vom Kontext ab!
I will come and visit you.
Ich werde kommen und dich besuchen klingt, ich glaube, da sind wir uns einig, nicht so gut. Hier sind zwei Eigenarten der englischen Sprache zu berücksichtigen.
- Futur: Das Futur im Englischen wird in der Regel mit „will“ gebildet, im Deutschen jedoch in der Regel mit Präsens; dass es sich eigentlich um die Zukunft handelt, erschließt sich aus dem Kontext. „Ich werde …“ sagt man eigentlich nur, wenn man betonen möchte, dass man etwas ganz fest vorhat.
- Die Verbindung zweier Verben. Gibt es dafür einen Fachausdruck? Ich weiß es gar nicht. „He began to climb the stairs“ wäre ein weiteres Beispiel. Im Deutschen verwendet man in diesen Fällen nur ein Verb: Ich besuche dich. Er stieg die Treppe hinauf.
Eine bessere Übersetzung wäre demnach, je nach Stilebene, Ich besuch dich dann!, Ich komm mal zu Besuch vorbei!, Ich schau später bei dir rum! Ebenfalls zu beachten ist hier übrigens, das Deutsche echt gerne Ausrufezeichen verwenden. Aber das nur nebenbei.
He gave me his pencil.
Er gab mir seinen Stift ist Imperfekt, auch Präteritum genannt, und diese Zeitform findet in der gesprochenen Sprache praktisch keine Verwendung. Und wenn doch, dann klingt es sehr gestelzt.
Romane jedoch werden durchaus im Imperfekt geschrieben (nun ja, oder im Präsens, aber darum geht es gerade nicht). Ein Buch komplett im Perfekt wäre ausgesprochen umgangssprachlich. Dies betrifft jedoch nur die erzählenden Teile, in der direkten Rede muss in der Regel Perfekt verwendet werden, einfach, weil kein Mensch im Imperfekt redet und die direkte Rede authentisch sein muss: Er hat mir seinen Stift gegeben. Jedoch kommt es auch hier auf Kontext und Stilebene an. Wenn die sprechende Person so charakterisiert wurde, dass sie sich sehr gehoben ausdrückt, muss sie natürlich auch im Imperfekt reden.
Er sagte, er sei in der Schule gewesen
Hier ist es ähnlich wie beim Imperfekt/Perfekt: Er sei ist ein absolut korrekter Konjunktiv I, der bei der indirekten Rede eingesetzt werden muss. Allerdings nur im Erzähltext. In der direkten Rede müssen die Personen so reden, wie echte Menschen eben reden – und kein Mensch redet im Konjunktiv I. Wenn jemand also erzählt, sein Freund habe behauptet, in der Schule gewesen zu sein, drückt er sich aller Wahrscheinlichkeit nach so aus: Er hat gesagt, er wäre in der Schule gewesen.
I hadn’t seen him in years when I suddenly met him.
Ich hatte ihn jahrelang nicht gesehen, als er mir plötzlich über den Weg lief. Hatte … gesehen ist Plusquamperfekt, und das Plusquamperfekt wird in der gesprochenen Sprache sehr häufig falsch verwendet, nämlich umgangssprachlich für alles, was in der Vergangenheit stattfindet: Ich hatte ihn gar nicht gesehen! Korrekt verwendet drückt das Plusquamperfekt eine Vorvergangenheit aus. Ist der Roman im Imperfekt geschrieben, also in der Vergangenheit, und erzählt eine Figur in dieser Vergangenheit aus ihrer Vergangenheit, muss diese Erzählung in der indirekten Sprache im Plusquamperfekt erfolgen:
Als sie noch ein kleines Mädchen war, so erzählte sie, hatte sie sich über solche Sachen nie Gedanken gemacht.
Selbiges gilt immer, wenn etwas stattgefunden hat, bevor etwas anderes stattfand:
Bevor sie einkaufen ging, hatte sie den Einkaufskorb ins Auto gepackt.
Zieht sich die Handlung in der Vorvergangenheit über mehrere Sätze oder gar Abschnitte, ist ein so langer Text im Plusquamperfekt nur schwer zu lesen. In der Regel setzt man deshalb nur die ersten ein, zwei Sätze ins Plusquamperfekt und schreibt dann im Imperfekt weiter.
He shook his head.
Er schüttelte seinen Kopf. Na ja, welchen denn sonst? Soll er den Kopf seiner Nachbarin schütteln?
Im Englischen werden gern Possessivpronomen verwendet, im Deutschen jedoch schlicht und einfach Artikel: Er schüttelte den Kopf. Sie hob die Hand.
Why would he do that?
Would ist wieder so eine Eigenart der englischen Sprache, die selten mit würde übersetzt werden darf. Im Deutschen würde man in diesem Kontext zu sollte greifen: Warum solle er das tun?
Semikolon
Das Semikolon, der Strichpunkt ; wird im Englischen recht gern verwendet; im Deutschen begegnet man ihm nur selten. Ups, da war eines. Natürlich gibt es auch im Deutschen das Semikolon, aber halt nicht so häufig wie im Englischen. Beim Übersetzen verwandelt man es deshalb meist in ein Komma oder einen Punkt, je nach Kontext.
They put on their jackets.
Sie zogen ihre Jacken an. Oder ihre Jacke?
Im Englischen verwendet man hier den Plural, was eigentlich logisch ist, denn jede Person zieht sich ja eine Jacke an, es gibt also so viele Jacken wie Personen. Im Deutschen jedoch ist der Singular üblich: Sie zogen ihre Jacke an. Weil sich jede Person nur eine Jacke anzieht. Eigentlich auch logisch.
She did her homework and never looked up.
Sie machte ihre Hausaufgaben und schaute nie auf. Wirklich nie? Niemals? Absolut nie mehr? Das wäre absurd. Oftmals muss never ins Deutsche mit nicht übersetzt werden: Sie machte ihre Hausaufgaben und schaute nicht auf. Als sie angesprochen wurde oder so. Aber wenn sie mit den Hausaufgaben fertig ist, wird sie ja wohl irgendwann mal aufschauen.
He began climbing the stairs.
Er begann, die Treppe hinaufzugehen. Kann man so machen, klingt aber doof. Das „beginnen“ wird im Deutschen so ziemlich immer weggelassen: Er stieg die Treppe hinauf. Sagt alles aus, klingt viel natürlicher.
Why don’t you go and f*** yourself
Aufforderungen werden im Englischen gern in Form einer Why-Frage ausgedrückt. Das klappt im Deutschen nicht! Warum gehst du nicht und … klänge nicht so gut. Hier verwenden wir den Imperativ: F*** dich ins Knie. Das erste Verb (go) lassen wir wieder weg, weil es im Deutschen überflüssig ist.
I think …
Das ist eigentlich ein Klassiker. Im Englischen denkt man, im Deutschen glaubt man. Oder man findet: Ich glaube, das wäre eine gute Idee. Ich finde, das wäre eine gute Übersetzung. Aber niemals denken! Schicht anders formulieren geht natürlich auch: Ich halte das/Das halte ich für eine gute Idee. Je nach Kontext und Stilebene1
Zum Weiterlesen: Eine interessante Fallstudie „Mit Übersetzungen auf den englischsprachigen“ Markt finden Sie in der Selfpublisherbibel.
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hansemann meint
ich denke, es ist eine gute Idee, warum soll das falsch sein? Das ist doch genauso üblich im Deutschen…
Til Jørgson meint
Weil es schon viel zu viele Journalisten immer wieder falsch übersetzt haben. Schlechter Stil ist und bleibt es. Klingt wichtigtuerisch, man hat sich also beim Finden oder Glauben etwas gedacht. Generell kann man »denke ich« auch ganz weglassen, es schwächt eine Aussage ab und das will man im Roman selten.